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Composites: Komplettlösungen mit vielen Anwendungsmöglichkeiten
| KraussMaffei
Die Leichtbau-Experten Philipp Zimmermann und Dr. Mesut Cetin im Interview
Warum werden Autos noch nicht komplett aus faserverstärkten Kunststoffen gebaut? Welche Rolle spielen Organobleche, Fensterprofile und Betonarmierungen für die Zukunft des Leichtbaus? Philipp Zimmermann, Leiter der Composites-Sparte der KraussMaffei Reaktionstechnik, und Dr. Mesut Cetin, Gruppenleiter Produktmanagement Automation im Bereich der thermoplastischen Komponenten, geben Antworten.
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Der 7er BMW war 2015 das erste Auto in seiner Klasse, bei dem carbonfaserverstärkte Kunststoffbauteile (CFK) in Großserie hergestellt wurden. 2017 kam der A8 mit einer äußerst verwindungssteifen Rückwand in der Passagierzelle aus CFK auf den Markt. Ferrari wird aktuell dafür gefeiert, dass der neue Portofino 80 Kilo leichter ist als sein Vorgänger. Der Knie-Airbag von ZF gewinnt einen Preis, weil er wegen seines Gehäuses in Leichtbauweise 30 Prozent Gewicht einspart. Ist die Automobilindustrie nicht zentraler Treiber in Sachen Leichtbau?
Philipp Zimmermann
Für die Automobilindustrie spielt der Leichtbau seit Jahren eine große Rolle, keine Frage. Bislang war die Gewichtsreduktion einer der entscheidenden Hebel, um etwa Kraftstoffverbräuche zu senken. Für die Elektromobilität ändert sich das. Vereinfacht gesagt lautet die Gleichung dort: Performance-Steigerung und mögliche Kostenreduktion durch Funktionalisierung und Zusammenführung von einzelnen Komponenten.
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Und wo steht da KraussMaffei?
Zimmermann
Mittendrin. Für Hengrui haben wir zum Beispiel zusammen mit unseren Partnern eine Blattfeder für den Einsatz in einem Automobil entwickelt und gebaut, die bis zu 60 Prozent leichter sein kann als die bisherige Feder aus Stahl. Sie besteht im Wesentlichen aus Glasfasern und Epoxidharz. Die Festigkeit kann gezielt dort erhöht werden, wo sie gebraucht wird, und Korrosion gibt es bei diesem Material nicht.
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Der Leichtbau macht also seinem Namen alle Ehre …
Dr. Mesut Cetin
Der Türmodulträger, den wir für einen der großen Autohersteller aus einem 0,6 Millimeter starken Organoblech formen und hinterspritzen, spart gegenüber dem Bauteil aus Stahl sechs Kilo ein. Und die Vorgänger-Komponente aus einfachem Spritzguss war immerhin noch um 1,5 Kilo schwerer. Dank der geschickten Automatisierungslösung und der intelligenten Aufheiztechnik kommen wir in der Produktion des Trägers auf eine Zykluszeit von unter 60 Sekunden. Die Übergabe des vorgewärmten Organoblechs an das Formwerkzeug dauert zum Beispiel ganze zwei Sekunden. Wir können also durchaus auch schnell sein. Aber der Träger bringt ganz andere Vorteile mit sich.
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... und die sind?
Dr. Cetin
Herr Zimmermann hat es schon angedeutet: Die Stichworte lauten integrieren und funktionalisieren. Am Türmodulträger werden zahlreiche Komponenten montiert – Innen- und Außenschalen, Lautsprecher, Verriegelungsmodul, Crashsensor, Motor fürs Heben und Senken des Fensters etc. Dazu gehören auch die Führungsschienen für die Fenster. Die wurden früher in einem separaten Arbeitsgang montiert. Jetzt werden die Schienen gleich mit auf das geformte Organoblech angespritzt. Außerdem bietet der Träger auch neue Möglichkeiten für das Akkustikdesign, und die lastpfadgerechte Faserverstärkung bietet ein um 400 Prozent höheres Energieabsorptionsvermögen als der bisherige Träger.
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Warum werden Autos dann nicht schon längst komplett aus Verbundkunststoffen gefertigt?
Zimmermann
Die Automobilindustrie kommt aus der Verarbeitung von Metallen und Metallblechen. Produktionsstraßen weltweit sind auf Metallbearbeitungsprozesse hin optimiert. Eine Umstellung auf Faserverbund im großen Stil würde einen gewaltigen Aufwand bedeuten.
Dr. Cetin
Ein solcher Komplettumstieg ist in vielerlei Hinsicht nicht sinnvoll. Zumal es auch Themen wie etwa die Class-A-Oberflächengüte gibt, bei denen die Metall-Kollegen immer noch vorn liegen. Auch die Bauteilauslegung ist aufgrund der anisotropen, d. h. nicht nach allen Richtungen hin gleichen, Eigenschaften von faserverstärkten Kunststoffen komplex.
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Bei der Metallverarbeitung wissen die Kollegen, wie sie Blechdicken gestalten müssen, damit sie nach dem Biegen die richtigen Eigenschaften haben. Bei den Faserverbundstoffen nicht?
Dr. Cetin
Damit es mit einem speziellen Matrixmaterial versehen und geformt die gewünschten Eigenschaften bringt, ist die Auslegung etwa eines Organoblechs komplex und weit anspruchsvoller als die Simulationen, die es für gewöhnliche Spritzgusskomponenten gibt. Aber natürlich gibt es auch hier Spezialisten, in der Regel die Materialhersteller, die sich dieses Themas angenommen haben.
Zimmermann
Dazu kommen die unterschiedlichen Produktionsverfahren, die es für Kunststoffverbundmaterialien gibt und die je nach angestrebtem Bauteil unterschiedliche Vorteile mit sich bringen. Die erwähnte Blattfeder wird zum Beispiel im Hochdruck-Resin Transfer Molding Verfahren (HD-RTM) gefertigt. Sie brauchen dazu geformte Faserhalbzeuge, injizieren das Matrixmaterial und halten mit der Pressenkraft die Form in Position, bis die Reaktion abgeschlossen ist. Pultrusion und die ebenfalls schon angesprochenen Organobleche in Kombination mit Spritzgießtechniken sind weitere Verfahren, die jeweils unterschiedliches Know-how erfordern. Faserverbundtechnologie ist durchaus komplex, aber die Resultate sind äußerst interessant, nicht nur für die Automobilindustrie.
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Was ist zum Beispiel mit Branchen, die ebenfalls mit dem Thema Gewicht zu kämpfen haben – Bootsbau, Luft- und Raumfahrt?
Zimmermann
Wenn man beim Bootsbau an den Rumpf denkt, ist das eher nicht unser Thema. Dazu sind die Stückzahlen zu klein. Unsere Stärke liegt in der Fertigung großer Stückzahlen. Die Luftfahrt ist hier in der Tat ein sehr vielversprechendes Geschäftsfeld.
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Für Airbus, Boeing & Co. geht es dabei wieder nicht nur ums Gewicht?
Zimmermann
Die Luftfahrtindustrie sucht nach Möglichkeiten, ihre Prozesse zu verschlanken, um ihre Stückzahlen zu erhöhen. Da kommt uns unsere Erfahrung aus der Automobilindustrie sehr entgegen. Für Airbus haben wir zum Beispiel ein Entwicklungsprojekt durchgeführt, bei dem es um einen Türseitenrahmen ging. Für das bis dato übliche Produktionsverfahren wurden mehrere Stunden pro Rahmen veranschlagt. Wir haben die Zeit in den Bereich unter einer Stunde gedrückt – eine bedeutende Zeitersparnis pro Einbauteil.
Dr. Cetin
Was den Einsatz von thermoplastischen Komponenten in diesem Markt betrifft, ist unter anderem die Temperaturbeständigkeit von gängigen Kunststoffen als Matrix ein Hinderungsgrund. Inzwischen setzen Materialhersteller auf PEEK als Matrixmaterial für Organobleche. Polyetheretherketon ist mit einer Schmelztemperatur von mehr als 300 Grad deutlich temperaturbeständiger als die sonst üblichen Kunststoffe wie Polypropylen oder Polyamide. Das könnte den Einsatz von Organoblechen in diesem Markt voranbringen.
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Gibt es neue Geschäftsfelder, die Sie in den Blick nehmen?
Dr. Cetin
Wir haben auch schon Teile für Ski-Bindungen aus thermoplastischem Material produziert. Und sicher wird der Sektor Luft- und Raumfahrt in den nächsten Jahren wichtiger werden. Aber der Automobilbau wird für uns von großer Bedeutung bleiben. Verstehen muss man Folgendes: Mit der Verarbeitung von Organoblechen wollen wir nicht in erster Linie Metallkomponenten ersetzen. Unser Kernziel heißt: Spritzgießanwendungen optimieren und funktionalisieren. Für unsere Kunden ist das ein vergleichsweise kleiner Schritt. Ein Metallteil durch eine Faserverbundkomponente zu ersetzen, ist da eine ganz andere Liga.
Zimmermann
Für den Bereich Duromere rückt derzeit die Pultrusion in den Fokus. In diesem Bereich sind die Einstiegsinvestitionen vergleichsweise gering. Damit lassen sich Dinge realisieren, die man bis heute noch gar nicht mit Faserverbundtechnik in Verbindung bringt. Profile für Fenster zum Beispiel. Die Bauwirtschaft verarbeitet in Betonkonstruktionen in großen Mengen Armierungen. Die müssen nicht klassisch aus Metall sein, wenn sich die Zugfestigkeit mit anderen Stäben oder ganzen Stabkonstruktionen darstellen lässt. Der große Vorteil der Faserverbundtechnologie ist hier die Korrosionsbeständigkeit. Und dank der Pultrusion können wir so ziemlich alles, was lang und stark sein muss, sehr effizient herstellen. Da gibt es noch jede Menge mögliche Anwendungen.
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Wo sehen Sie den Bereich Leichtbau in fünf Jahren?
Zimmermann
Der Bereich Automobil wird für uns weiter wichtig sein, die Luftfahrt wird an Bedeutung gewinnen. Völlig klar ist auch, dass wir in den nächsten Jahren mit unserer Technologie ganz neue Bereiche wie Infrastruktur- oder Bauindustrie für den Leichtbau erschließen werden. Interessante Materialeigenschaften, kurze Zykluszeiten oder geringere Produktionskosten sind hier wichtig.
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Was ist mit der Ausweitung der Kompetenzfelder?
Dr. Cetin
In erster Linie sind wir Maschinenbauer und stellen sicher, dass unsere Kunden auf unseren Anlagen ihre Bauteile reproduzierbar in der geforderten Qualität herstellen können. Das heißt, dass das gesamte Engineering – also Planung und Entwicklung einer Bauteilkomponente – heute über Partnerunternehmen läuft, genauso die Herstellung des Ausgangsmaterials und des Werkzeugs. Hier haben wir in den letzten Jahren ein solides Netz von Unternehmen aufgebaut, mit denen wir gemeinsam mit unseren Kunden gerne und zuverlässig zusammenarbeiten und dadurch für unsere Kunden einen klaren Mehrwert bieten.