Nachhaltigkeit
Neue Antworten für die Recycling-Industrie
| KraussMaffei
KraussMaffei verbindet die beiden großen Trends Circular Economy und Digitalisierung
Als ein Vorreiter bei Recycling, Upcycling und Recompounding von Kunststoffen beschäftigt sich KraussMaffei am Standort Hannover seit mehr als drei Jahrzehnten mit dem Thema Wiederverwertung und ermöglicht seinen Kunden den Eintritt in die Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe. Im Interview erläutern Ralf J. Dahl, Direktor Fachvertrieb Extrusion, und Carl-Philip Pöpel, Direktor Produktmanagement Extrusion, das Potenzial der Circular Economy und die weiteren Pläne von KraussMaffei in diesem Bereich.
KraussMaffei
Circular Ecomomy, dahinter steckt ja im weitesten Sinne eine Wirtschaft ohne Abfall. Wie viel ist davon heute Realität, wie viel Vision?
Carl-Philip Pöpel
Im Papier-, Metall- und Glasbereich ist das Recycling völlig etabliert und auch akzeptiert vom Konsumenten. Das war im Kunststoffbereich lange nicht der Fall. Durch den zunehmenden Druck von Politik und Gesellschaft ist es jetzt zunehmend akzeptiert. Das Ziel ist es nun, wie bei Metall, Glas und Papier auch eine echte Circular Economy zu realisieren. Und das ist auch technisch möglich. Es gibt massiv Potenzial, einen benutzten Kunststoff wieder in Neuware-Qualität dem Kreislauf zurückzuführen
Dahl
Wertstoffliches Recycling hat es in allen Industrien immer gegeben. Aber von den Verschmutzungen her, die im Kunststoff anhaften und aufgrund technischer Limitierungen in der Aufbereitung, hat es lange Zeit keinen vernünftigen Ansatz gegeben, Kunststoffe mit hohen Qualitäten und in großen Mengen zu recyceln. Es hat aber auch keine große Motivation dafür gegeben. Das ändert sich jetzt nachdrücklich.
KraussMaffei
Für KraussMaffei ist das ein klarer Wachstumsmarkt?
Dahl
Absolut. Wir haben heute bereits am Standort Hannover einen Gesamtanteil von über zehn Prozent unseres Umsatzes, den wir im Bereich der Kunststoffaufbereitung erzielen, Tendenz stark steigend. Auch wenn aktuell unser Hauptgeschäft die Verarbeitung von Neuware bleibt.
KraussMaffei
Inwieweit wird in den Bereich Circular Economy investiert?
Dahl
Bereits 2018 wurde entschieden, über 2,5 Mio. Euro in eine spezielle Technikumsanlage zu investieren, die Ende 2019 zur Aufstellung in unserem Technikum kommt. Diese Edelweiss-Linie ist ausschließlich für Circular Economy und Recycling-Anwendungen vorgesehen. Damit ermöglichen wir der Industrie und unseren Kunden, neue Prozesse zu entwickeln, zu qualifizieren und sich von unserer Leistungsfähigkeit zu überzeugen.
Pöpel
Zusätzlich haben wir in ein umfangreiches Analytiklabor investiert. Dies ist besonders für die Aufbereitung von Recyclaten wichtig, um detailliert die Eigenschaften der Eingangsstoffe und nachher des aufgewerteten Endproduktes zu analysieren. Grund hierfür sind sehr häufig stark schwankende Stoffströme hinsichtlich Art und Verschmutzung, die entsprechend Auswirkungen auf den Prozess und die zu erreichenden Qualitäten haben.
"Die Abfallstoffströme sind mittlerweile um ein Vielfaches höher als noch vor einigen Jahren."Ralf J. Dahl, Direktor Fachvertrieb Extrusion
KraussMaffei
Wie hat sich die Kunststoffaufbereitung in den vergangenen Jahren verändert?
Dahl
Es ist in der Branche einiges in Bewegung. Es gibt viele Merger, bei denen sich z.B. Abfallentsorger mit Verarbeitern zusammentun oder Großchemie-Konzerne neuerdings Recycler aufkaufen. Bezüglich der Volumina und der Verarbeitungskapazitäten hat das erhebliche Folgen. Die Abfallstoffströme sind mittlerweile um ein Vielfaches höher als noch vor einigen Jahren.
Pöpel
Es herrscht gerade eine sehr starke Dynamik in diesem Markt. Der Trend geht zu hohen Tonnagen, denn die Global Player steigen ein. Und damit meinen wir nicht nur die Brand Owner, sondern nahezu alle Beteiligten der Wertschöpfunsgkette. Dies erfordert über die bisherigen üblichen Recyclingmaschinen hinaus ganz andere technische Ansätze, die wir bedienen können.
KraussMaffei
Wo holen Sie sich Unterstützung? Welche festen Partner haben Sie? Gibt es Kooperationen?
Pöpel
Wir planen eine Kooperation mit der Universität Hannover. In dem Zuge des dort neu geschaffenen Instituts IKK (Institut für Kunststofftechnik und Kreislaufwirtschaft) unter Prof. Dr.-Ing. Hans Josef Endres haben wir die einmalige Chance der wissenschaftlichen Begleitung unserer Technologie.
Dahl
Das Institut ist unseres Wissens nach das erste und einzige Institut, das sich explizit mit Kreislaufwirtschaft in der Kunststofftechnik beschäftigt. Hier findet der notwendige Austausch zwischen Theorie und Praxis statt und neue Forschungsansätze können wir im industriellen Maßstab umsetzen. Darüber hinaus bestehen in Einzelfällen spezielle Kooperationen mit unseren Kunden, aber auch mit Lieferanten und Technologiepartnern in Europa.
KraussMaffei
In welchen Bereichen sehen Sie besonders großes Wachstumspotenzial?
Pöpel
Wenn wir von den hauptsächlichen Materialströmen reden, dann sind vor allem Polyolefine zu nennen. Da geht es zum größten Teil um Verpackungsmaterial. Aber auch andere Branchen, wie z.B. Automotive und Bau/Infrastruktur sind hoch interessante Märkte.
KraussMaffei
Spüren Sie generell bei Kunststoffen besondere Vorbehalte, die das Geschäft belasten beziehungsweise sogar behindern?
Dahl
Man muss die Diskussion weg von dieser Emotionalität bringen, sondern das Thema nüchtern, technisch und physikalisch sehen. Wir appellieren: Sammelt den Kunststoff und bringt ihn dahin, wo die Industrie es kontrollieren kann. Die Technologien zur Verarbeitung und Aufwertung des Abfalls sind gegeben. Es ist nur eine Frage des Wollens und einer entsprechenden Gesetzgebung und der Durchsetzung dieser Gesetzgebung. Wenn wir diese Stoffströme kontrollierbar machen, dann kann daraus wieder Sinnvolles entstehen und der Abfall deutlich reduziert werden.
Pöpel
Das beste Beispiel sind zwei Stoffströme, die bereits nachhaltig im Recycling etabliert sind: Zum einen PET, also das Material, aus dem Wasserflaschen bestehen. Die werden in Westeuropa bis zu 95 Prozent recycelt, weil der Sammelprozess bereits vom Konsumenten selber initiiert wird. Das andere Beispiel ist PVC in Bau und Infrastruktur, da geht es mehr um industrielles Recycling. Hier wird der überwiegende Großteil schon seit Jahrzehnten komplett im Kreislauf recycelt. Beide Beispiele zeigen, dass es funktionieren kann.
KraussMaffei
Welche großen Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft?
Dahl
Die größten Probleme bestehen bei den Verbundstoffen, also unterschiedliche, nicht trennbare Kunststoffe. Hier kommen neuartige chemische oder lösemittelbasierte Verfahren zur Anwendung, bei denen man gezielt nur einen bestimmten Stoff angreifen und separieren kann. Diese Anwendungen befinden sich teilweise erst im Aufbau, erste Pilotanlagen gibt es aber bereits. Hier sehen wir großes Potenzial und können mit unseren Technologien Lösungen anbieten. Die Verpackungsindustrie arbeitet darüber hinaus daran, reyclingfreundliche Designs zu entwerfen und Verbundfolien, wo möglich, zu vermeiden.
Pöpel
Das sind die drei Arten von Recycling, wo wir uns bewegen: mechanisches Recycling als größte Säule, dann lösemittelbasiertes Recycling und als drittes das chemische Recycling, bei der man die Polymere aufbricht und am Ende ein rohölähnliches Vorprodukt erhält. Neben dem mechanischen Recycling glauben wir vor allem an das lösemittelbasierte Recycling, weil man dort über die molekularer Ebene wieder ein Neuware-ähnliches Produkt erhält.
KraussMaffei
Auf der K-Messe simuliert Ihr Unternehmen eine Produktionsanordnung, in der live aus einem normalen Verpackungs-Eimer eine automotive A-Säulenverkleidung entsteht. Warum dieser Aufwand?
Dahl
Es ist uns wichtig darzustellen, was wir können. Unsere Innovationskraft beim Recycling und in der Circular Economy ist noch nicht jedem bekannt. Auf der K können wir sie beweisen und einem Fachpublikum zeigen. Wir stellen segmentübergreifend, also zwischen Spritzguss und Extrusion, den Produktions- und Lebenszyklus eines aus einer einfachen Verpackung hergestellten, technisch anspruchsvollen Automobil-Bauteils dar.
Wir greifen im Grunde auf bewährte Technologien in einer neuen Anordnung und Verwendung zurück und geben damit neue Antworten für die Recycling-Industrie.
Pöpel
Auf der Messe werden wir die beiden großen Trends Circular Economy und Digitalisierung miteinander verbinden. Zum einen durch einen sehr hohen Automatisierungsgrad und Chargenverfolgung, sowie in- und on-line Qualitätsüberwachungen. Zum andern haben wir mit unserem Startup polymore.com eine digitale Handelsplattform geschaffen, die Compoundeure, Recyclatanbieter und Verarbeiter zum einfachen und sicheren Handel von Produkten digital verbindet. Das ist insofern interessant und zukunftsweisend, weil die Industrie verlässliche Rohstoffströme braucht. Die Plattform kann für Neuware ebenso genutzt werden wie für Recyclingmaterialien. Wir ermöglichen der Industrie kraft unserer Produkt-, Herstellungs-, Markt- und Kundenkenntnisse neue Beschaffungswege. Damit ist KraussMaffei ein Pionier.
KraussMaffei
Blicken wir in die Zukunft. Welchen Stellenwert wird Circular Economy in der Industrie, aber auch speziell bei KraussMaffei in den nächsten Jahren haben?
Pöpel
Meine Vision für 2030 lautet: Circular Economy ist Standard in der Kunststoffindustrie, wir müssen gar nicht mehr groß darüber reden. Das ist meine feste Überzeugung. Und KraussMaffei wird ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung gewesen sein.
Dahl
Da stimme ich voll zu. Es ist klar, dass wir auch künftig nicht ohne Kunststoff auskommen werden. Dieses Kunststoff-Bashing muss aufhören. Kunststoff ist ein notwendiger und wertvoller Werkstoff, ohne den eine moderne Welt nicht vorstellbar ist. Wir müssen nur verantwortungsvoll mit dieser Ressource umgehen und vom Wegwerfimage wegkommen. Entscheidend ist, Kunststoff die Werthaltigkeit zu geben, die ihm gebührt. Und dann kommen wir auch zu einer funktionierenden Circular Economy.