Nachhaltigkeit
Vom Passagier- zum Frachtflugzeug
| Petra Rehmet
Renommiertes NIAR-Institut setzt auf FiberForm-Technologie von KraussMaffei
Es sind zwei Welten, die sich hier begegnen – und gegenseitig befruchten: Das US-amerikanische Forschungsinstitut NIAR untersucht, wie sich moderne Composite-Technologien sicher und effizient für die Luftfahrt anwenden lassen, etwa bei der Umrüstung von Passagier- zu Frachtflugzeugen. Dabei unterstützt KraussMaffei mit seiner Expertise aus der effizienzgetriebenen Automobilindustrie. Auf einer GX 450 entstehen so im FiberForm-Verfahren Platten für das Verschließen von Fensteröffnungen.
Es gibt sogar ein eigenes Wort dafür: Prachter (Englisch Preighter). Entstanden in der Corona-Krise, als kaum Menschen reisten, bezeichnet es einen (temporär) als Frachtflugzeug genutzten Passagierjet. Und auch die Dauerlösung ist gebräuchlich: Angejahrte Luftschiffe, die nicht mehr den neuesten Komfort bieten, machen als Cargomaschinen immer noch eine gute Figur. Die Nachfrage ist groß, denn der Anschaffungspreis beträgt nur einen Bruchteil von Neuflugzeugen.
Composites als wirtschaftliche Alternative zu Metall
Voraussetzung ist allerdings ein fachgerechter Umbau, unter anderem müssen die zahlreichen Fensteröffnungen geschlossen werden. Bislang geschieht das mit Metallplatten, doch moderne Faserverbundkunststoffe bieten die gleiche Stabilität bei geringeren Kosten, weniger Eigengewicht und einem Bruchteil des zeitlichen Aufwands.
Das renommierte NIAR-Institut (National Institute for Aviation Research) der Wichita State University (Kansas, USA) untersucht mit seinem Labor ATLAS (Advanced Technologies Lab for Aerospace Systems) Fragestellungen wie diese und bildet gleichzeitig das Fachpersonal von morgen aus.
Insgesamt sind an sechs NIAR-Standorten rund 1600 Mitarbeiter aktiv, wobei das Gesamtvolumen der F&E-Projekte bei 300 Millionen Dollar liegt. Mit KraussMaffei hat sich NIAR tatkräftige Unterstützung mit Industrieexpertise an die Seite geholt.
Wir leben seit zwei Jahren eine echte Partnerschaft. KraussMaffei hat nicht nur eine vielfältig einsetzbare Maschine aufgebaut, sondern hilft uns aktiv vor Ort bei der Prozessentwicklung. Unsere Studenten profitieren enorm von dieser Praxiserfahrung und dem Kontakt zu Teilnehmern an echten Lieferketten. Unser Ziel ist, die effizienten Verfahren aus der Automobilproduktion auf die Luftfahrt zu übertragen – wie etwa FiberForm.Dr. Waruna Seneviratne
Director NIAR ATLAS
FiberForm spart wertvolle Zykluszeit
Bei FiberForm wird ein sogenanntes Organoblech, thermoplastisch imprägnierte Endlosfasern, ins Werkzeug eingelegt, geformt und umspritzt. Bei den Fensterplatten geschieht dies auf einer GXW 450-2000/1400 mit einer Wendeeinheit. In einem umfangreichen und von der Air Force geförderten Projekt analysieren Dr. Waruna Seneviratne und Eugen Schubert (Sales and Application Manager KraussMaffei), wie der Prozess für die neuen Faserverbundteile gestaltet sein muss, um den hohen technischen Anforderungen gerecht zu werden.
Als Basis für Teile- und Werkzeug-Entwicklung dienten zahlreiche Simulationen, die bei NIAR durchgeführt und im Laufe des Prozesses durch Prüfungen evaluiert wurden. Diese Ergebnisse stehen auch für zukünftige Projekte zur Verfügung.
Entstanden ist so eine ovale Platte, deren Geometrie sich am originalen Flugzeugfenster orientiert, die aber punktuell, etwa mit rippenförmigen Versteifungen, angepasst wurde um den Druckbelastungen zu widerstehen. Für die gewünschten mechanischen Eigenschaften verwendete das Team die Hochleistungskunststoffe LM-PAEK mit AS4-Kohlefasern für das 16-lagige Organoblech und PEEK (mit 30 Prozent Faserverstärkung) für das Umspritzen.
Durch die höhere Schmelztemperatur des PEEK verbinden sich beide Werkstoffe optimal miteinander, wenn die Fließfront auf das Organoblech trifft.
Vollautomatisierter Prozess
Für die vollautomatische Fertigung wurden verschiedene Varianten erprobt, wobei sich folgender Ablauf herauskristallisierte: Zunächst wird das plane Organoblech in einem IR-Ofen erwärmt, in die erste Station des Werkzeugs eingelegt, geformt und verpresst, das Werkzeug öffnet sich, die Wendeeinheit dreht und transportiert den Rohling zum Umspritzen in die zweite Kavität, während vorne das nächste Faserhalbzeug eingelegt wird.
Die Taktzeit ist dabei so kurz, dass innerhalb einer Stunde 40 Fensterverschlüsse hergestellt werden können. Dies ist einer der großen Vorteile des schnellen Spritzgießens gegenüber der Metallbearbeitung und auch gegenüber reaktionstechnischer Verfahren.
Die bei FiberForm eingesetzten Thermoplaste bieten zudem die Möglichkeit, Bauteile zu schweißen, sie verfügen über eine große Schlagzähigkeit, sind widerstandsfähig gegen hohe Temperaturen, chemische und umweltbedingte Einflüsse und zusätzlich flammhemmend.
Verglichen mit seiner Vorlage aus Metall (590 Gramm) bringt die Composite-Variante des Fensterverschlusses rund 20 Prozent weniger Gewicht auf die Waage. Das Team arbeitet bereits an einer weiteren Optimierung, um eine Einsparung von 40 Prozent zu erreichen.
Lückenlose Rückverfolgung mit dem dataXplorer
Bei sicherheitsrelevanten Anwendungen wie der Luftfahrt liegt besonderes Augenmerk auf der Rückverfolgbarkeit von Produktionsprozessen. Mit dem dataXplorer bietet KraussMaffei hier eine perfekte Lösung. Über 500 Signale können alle 20 Millisekunden erfasst und gespeichert werden.
Mit dem dataXplorer lässt sich der gesamte Prozess wie unter einem Mikroskop betrachten. Für die Entwicklung der Fensterplatten haben wir den dataXplorer ausgiebig genutzt und gewonnene Erkenntnisse immer wieder in Prozessveränderungen einfließen lassen.Eugen Schubert
Sales and Application Manager Krauss-Maffei Corporation
Der nächste Schritt bei NIAR ist nun, die Fensterverschlüsse weiteren Funktionstests – etwa hinsichtlich der Langlebigkeit – zu unterziehen, um dann ein serienreifes Bauteil zertifizieren zu lassen. Es wäre eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten: NIAR könnte automobile Fertigungstechnologien erfolgreich in die eigene Branche importieren und KraussMaffei sein Engagement im Bereich Luftfahrt verstärken.
Gemeinsamer Auftritt auf der NPE
Zunächst aber freut sich Nolan Strall (President of KraussMaffei Corporation North America) auf einen gemeinsamen Messseauftritt (6.-10.5.24, Orlando/Florida): "Die NPE ist das Schaufenster der Kunststoffindustrie in Nordamerika und an unserem Stand werden wir die Kunden mit unseren Partnern von NIAR begrüßen. Die gebündelten Kompetenzen werden sicher für viele Messebesucher attraktiv sein." Den Fensterverschlüssen dürften also weitere Projekte folgen.
Erster Platz bei den SAMPE Technical Paper Awards
Eine erste Auszeichnung hat das Projekt bereits erhalten. Der begleitende Fachartikel "Ultra-High-Rate Manufacturing of Thermoplastic Window Plug Using Hybrid Overmolding" von Dr. Waruna Seneviratne und Eugen Schubert erzielt den ersten Platz bei den Technical Paper Awards der SAMPE 2024. Die Gewinner werden auf dem SAMPE Awards Breakfast am 23. Mai 2024 geehrt.
Kontakt
eugen.schubert@kraussmaffei.com